Alle Beiträge von Sabine Birmann

Paradies

Das Paradies gibt es, meins ist gar nicht so weit weg. Es liegt vor meiner Tür, ich muss nur hinsehen, hinfühlen, mich hingeben, dann ist es da. Das Paradies gab es schon immer, doch einen kleinen Teil habe ich selbst dazu beigetragen darauf bin ich schon ein wenig stolz, muss ich gestehen, aber auch, dass ich es nicht allein war.

Die Spatzen, Stare und Meisen auf den Vogelkästen, der wilde Wein, der an der Scheune empor rankt, die Bäume in der kleinen Allee hoch zum Reitplatz, die wilden Blumen und die Schmetterlinge, die im lauen Sommerwind taumeln. All das berührt die Sinne, ist intensiv, lässt immer wieder bewundern und staunen. Ich muss nur vor die Haustür gehen. Wenn der untergehende Mond noch über dem Wald steht, ganz langsam der Morgen dämmert, das Käuzchen ein letztes Mal ruft, dann ist es da, das Paradies, zeitlos, schön, schon unsere Vorfahren müssen es so empfunden haben. Danach folgt die Dankbarkeit für diesen winzigen Moment des Seins.
Viele Menschen suchen ihr Leben lang ihr Paradies, doch gehen ständig daran vorbei, haben nicht daran gedacht, sich zu bücken, um die kleinen Edelsteine aufzuheben, die das Leben ihnen vor die Füße gestreut hat.
Das Paradies entsteht nicht durch konsumieren, sondern durch die Wahrnehmung, Intensität und die Hingabe an eine n besonders schönen Augenblick-und den bekommt man kostenlos, sozusagen geschenkt…
Es sind die kleinen alltäglichen Dinge, die uns begegnen und für die man immer empfänglicher werden kann. Denn alles was ist, ist vergänglich und nicht selbstverständlich. Das Paradies ist ein sorgenfreier Moment, es reicht ihm ein kleines Zeitfenster in unserem Alltag zu gewähren, um es zu erhaschen.
Und so braucht man nur ein wenig innehalten, entdeckt die kleine Blume im Beton, lässt sich von einem Kinderlachen berühren, einem Lied oder genießt einen besonders schönen Sonnenuntergang…

Es ist gar nicht so schwer.

1 Million …

… auch wenn Verdrängung eine unserer menschlichsten Eigenschaften ist, jede/r mit etwas Hirn müsste langsam aufgehen, dass es so nicht weitergehen kann- 1 Million Arten, die ihren Wohnraum, diese Erde, mit uns teilen werden demnächst verschwinden…Zuckt nicht mit den Schultern und sagt, ich kann sowieso nichts dagegen tun, doch, jeder kann etwas tun – aus Einen werden Viele – lieber im Kleinen etwas tun als gar nichts- oft muss man etwas nur etwas lassen oder einschränken. Man stelle sich vor, 1 Million Menschen mähen seltener ihren Rasen, harken weniger Laub, kaufen weniger ein, schmeissen weniger weg, kaufen weniger Verpacktes, essen weniger Fleisch, fliegen weniger, roden weniger Fläche, betonieren weniger zu …….

Zur Jahreswende

Es begab sich zur Jahreswende, dass allen Wesen auf Erden sich ein unsichtbares Etwas bemerkbar machte. Es hatte viele Namen, doch wie es wirklich hieß, das wusste Keiner.

Es schien die Gedanken und Fragen ohne Worte zu verstehen und so ergab es sich, dass ein Hase als Erstes fragte : „Warum bin ich ein Hase? Immer muss ich fürchten, von Raubvögeln oder Vierbeinern mit Pfoten gejagt und gefressen zu werden.“

„ Du kannst allein in der Weite leben, brauchst keine Heimstatt und bist eines der schnellsten und wendigsten Tiere.“

Als Nächstes meldete sich die Löwin: „Warum bin ich ein Löwe? Ich fürchte, dass meine Jungen verhungern, wenn ich nicht genug Wild finde und gut genug jage.“

„ Du bist eines der mächtigsten Tiere, groß, stark und wehrhaft und wenn Du erwachsen bist, kannst Du angstfrei ruhen, weil Du nicht zur Beute für andere Tiere wirst.“

Da piepste die Maus „Warum bin ich eine Maus? Ich bin so klein und lebe in ständiger Furcht vor allem, was größer ist, weil es mich fressen will. “

„ Für Dich wird es immer genug Nahrung und Verstecke geben, selbst wenn andere hungern, wirst Du immer noch etwas finden. Deine zahlreichen Nachkommen werden deshalb auch schwere Zeiten überdauern, zudem bist Du schlau und flink“

So ging es Ewigkeiten fort, bis schliesslich der Mensch an die Reihe kam.

Er fragte: „Warum bin ich ein Mensch?“

„Du bist schlau und vielseitig, kannst Dir die Tiere untertan machen und die Erde nach Deinen Wünschen gestalten. Du musst kein noch so gefährliches Tier fürchten.“

Doch Mensch wandte ein: „ Ich fürchte mich aber unglaublich.“
„Vor was und wem?“ fragte die Stimme.

„Vor mir selbst“, antwortete der Mensch

Der Rosenbusch

Vor zig Jahren stand in der Feldmark auf einem breiten Wegesrand ein wilder Rosenbusch. Als ich Kind war, so sechs oder sieben, fuhr ich mit meinem Roller gerade im Juni oft dorthin, um seine wunderschönen, zarten Blüten zu bewundern. Eigentlich war es ein bisschen zu weit von zu Hause weg, und ich hatte auch immer ein wenig Angst so allein dort in der weiten Flur und fühlte mich wie die scheuen Rehe oder Hasen, wenn sie manchmal ängstlich sichernd über den Weg liefen. Doch der Rosenbusch faszinierte mich, denn es tummelten sich in den blassrosa Blüten Bienen, Hummeln und andere Sechsbeiner. Gerade die Hummeln kollerten und taumelten in den zarten, geöffneten Rosen wie betrunken. Ich konnte mich nicht satt sehen daran, der Busch zog mich magisch an, er war so unglaublich schön gewachsen, bestimmt vier Meter hoch und nie beschnitten worden. Im Herbst hing er dann voll mit roten Hagebutten, die mit ihrem satten Rot morgens im Herbstnebel leuchteten. Man sagte, einen guten Tee könne man davon zubereiten. So lernte ich als Kind, die Natur zu sehen, die Dornen an seinen Ranken zu fühlen, die Feinheit der Blüten zwischen den Fingerspitzen zu spüren. Nie pflückte ich eine Blüte ab, es erschien mir wie ein Frevel, solche Schönheit abzureißen und damit zu zerstören.
Doch eines Tages war der Rosenbusch fort. Ich sah die abgeschnittenen Stümpfe aus dem Boden herausragen, wie tote Arme lagen noch ein paar platt gefahrenen Ranken auf den kahlen Boden. Wie betäubt fuhr ich mit meinem Roller wieder nach Haus. Ich konnte nicht verstehen,, warum man den Rosenbusch gerodet hatte, einfach abgeschnitten, mit Stumpf und Stiel. Ich nahm diesen Weg danach nur noch selten, denn immer wenn ich an der nun kahlen Stelle vorbei rollerte oder später, als ich älter war, mit dem Fahrrad daran vorbeifuhr, wurde ich traurig, wie es ein Kind nur sein kann. Nie habe ich erfahren, warum man den Busch zerstörte, denn der Wegsrand war breit, von den Feldern trennte ihn ein breiter Graben und der Busch störte niemanden. Auf der kahlen Stelle wuchs langsam immer mehr Gras, doch wirkte der Boden dort mehrere Jahre so, als wäre dort eine Narbe zurück geblieben. 
Langsam verschwanden dann auch der Holunder, die Schlehen , der Weissdorn und natürlich die Rosenbüsche von den Wegrändern und Gräben. So einen großen, ja majestätischen Rosenbusch habe ich deshalb nie wieder gesehen.
Heute, viele, viele Jahre später, ist es wieder Juni und somit die Zeit der blühenden Rosen gekommen. Heute sah ich neben dem Garagentor, dass sich ein wilder Rosenbusch mit weiss-und blassrosa Blüten unter der Kletterrose durchschlängelte .
Es zauberte mir ein Lächelns auf´s Gesicht….

Wind im Haar

Mit 13 entdeckte ich aus Langeweile das alte Rennrad meines Bruders. Es war natürlich viel zu groß für mich, wenn es stand, musste ich es wegen der Mittelstange seitlich stellen, um mit einem Fuß noch den Boden zu berühren, aber ich fuhr sehr gern damit.

Es hatte nämlich eine Gangschaltung und in meinen Gedanken war es wie ein Vollblutpferd für mich, denn es war schnell und schnurrte auf der Strasse wie ein Uhrwerk. Ich glaube, es war ein gutes Rad. Und so fuhr ich von zu Haus 3 km weiter in den Nachbarort, von dort führte eine Strasse  hoch nach Sievershausen, den Ort meines eigentlichen Ziels. Die Steigung von 2  km schnurgerader Strasse machte mir zu schaffen, doch ich kämpfte und widerstand der Versuchung abzusteigen und zu schieben. Schwitzend und erschöpft kam ich oben  an und  das nur  zu einem Zweck: freihändig die 5 km andere Strasse,  die viel steiler zurück wieder nach unten in mienem Heimatort führte,  runter zu fahren, den Wind in den Haaren spüren, fühlen, wie der Körper und das Rad zu einer Einheit verschmelzen, der Leichtigkeit und  Fähigkeit meines Körpers zu vertrauen, die Balance zu halten in der Kurve, auf jeder Unebenheit.  Die Hände vor der Brust verschränkt oder locker neben dem Körper hängen lassen, das war das Gefühl von Freiheit und die Fahrt  kam mir unendlich vor- ich erinnere mich noch genau und kann mich in Gedanken wieder in die Zeit vor 40 Jahren versetzen-  die Wärme auf der Haut , das Einsein mit allem, der Umgebung, der Natur, mit dem Rad, im Hier und Jetzt.  Heute weiss ich, es der Moment der Hingabe, wo alles stimmt, wo es keine Zweifel, keine Gedanken  sondern nur das Jetzt gibt, wo  ganz selbstverständlich der Körper im perfektem Gleichgewicht  die Kurve nimmt,  und alle Kraft, Geschmeidigkeit, Leichtigkeit der Welt hat.

Wenig später wurde  die Strasse begradigt, die Kurve gibt es nicht mehr, die Obstbäume am Rand am verwilderten Graben und auch nicht das starke Gefälle.  Heute  ist es verpönt, freihändig zu fahren, ohne Helm mit einem  unpassenden Rad.  Freiheit haben wir ja, denken wir, aber in Wirklichkeit  wurde sie schon lange  ausgetauscht  gegen Effizienz,  Rationalität und Sicherheit.

Es gibt sie nur noch selten, die Hingabe an den Moment, den Glaube in die eigene Geschicklichkeit und Kraft, und in die  Intuition, wann man an den Lenker fassen muss und wann man loslassen kann und vor allem etwas zu Tun, einfach um des Tuns wegens.

Wer darf noch solche Erfahrungen machen? Wer will heute solche Erfahrungen noch machen? Wo der einzige Plan nur war, den Wind in den Haaren zu spüren?