Archiv der Kategorie: Essays

Klatschmohn

Die besonderen Momente im Leben müssen nicht unbedingt die großen Ereignisse sein, wie die Geburt eines Kindes, eine große Liebe, die erste eigene Wohnung oder eine wider Erwarten bestandene Prüfung. Oft sind es die kleinen Erlebnisse im Alltag, wo wir einen Augenblick aufmerksam sind und etwas wahrnehmen, was uns sonst entgangen wäre.
So fuhr ich Anfang des Monats an einem schönen Junitag eine Landstraße entlang, die ich sonst meide, da sie normalerweise einen Umweg bedeutet. Ich hatte genug Zeit, um mein Ziel in der nächsten Stadt erreichen und so fuhr ich recht langsam und erblickte am Straßenrand ein Meer aus rotem Klatschmohn, hingetupft zwischen weiß blühender Kamille. Es leuchtete wie ein Meer aus roter Farbe und je weiter ich fuhr, desto intensiver wurde das Rot und bildete mit der weißen Kamille, den blauen Junihimmel und den dahinter wogenden, sattgrünen Getreidefeldern einen atemberaubenden Kontrast. Kann ein Maler schöner malen? Kein Auto war ich Sicht und ich verringerte das Tempo auf langsam, berauschte mich an den Farbenspiel, den leicht zitternden Getreidehalmen auf den Feldern nebenan, über die ein leichter Wind strich. Der Juni ist ein verkannter Monat, dabei steht er in seiner Üppigkeit dem Mai in nichts nach. Wären wir achtsamer, so würden wir uns an die Rosenbüsche, die am Rande der Felder blühen, wahrnehmen, die ersten Sommerblumen, die am Wegrand stehen. Klatschmohn, Kamille, Margeriten, Rosen und Scharfgarben. Ich fuhr Kilometer für Kilometer weiter und konnte mich nicht satt sehen, versuchte, diesen wunderbaren Moment mit allen Sinnen festzuhalten. Dann sah ich am Horizont eine Art Baufahrzeug auftauchen, und als ich näher kam, stellte sich heraus, dass es den Straßenrand abmähte. In diesem Moment gab ich meinen Plan auf, noch einmal den darauf folgenden Tag diese Stecke zu fahren, um das Erlebnis zu wiederholen und da Farbspiel mit der Kamera einzufangen. Womöglich würde ich enttäuscht werden und einen kahlen Rand erblicken, mit den darauf verwelkenden Blumen. Die sterbenden Blüten, das verblassende Rot würden mich traurig stimmen, weil wie so oft achtlos etwas Einmaliges zerstört wird. Vielleicht ist es aber gerade die Vergänglichkeit, die den Augenblick so besonders macht….

In diesem Sinne 

Sabine

Foto: Samira

Der Osterhase – ein Essay von Sabine Birmann vom 30. März 2016

Kurz vor Ostern kaufte ich jedem meiner Kinder einen Osterhasen- von der Firma Lindt. Er war groß und recht teuer, in goldenem Papier eingewickelt. Auch wenn heutzutage die Bedeutung des Osterfestes mehr und mehr in Vergessenheit gerät, so ist es doch kein x-beliebiger Tag, und wenn es schon nicht mehr christlich gefeiert wird, so erinnert man in Form des Ostereiersuchens wenigstens an den heidnischen Ursprung des Festes. So ist auch der Hase ein Fruchtbarkeitsymbol, zeigt, dass der Frühling den in früheren Zeiten recht harten Winter ablöst, dass neues Leben entsteht und altes in Form von Blättern und Blüten wieder erwacht. Vielleicht kauft man deshalb einen Schokoladenhasen, Ostereier oder ein Küken. Es ist zudem die Erinnerung an die eigene Kindheit, wo ich schon am Vortag aufgeregt und sehnsüchtig aus dem Fenster schaute und mit dem Bruder wetteiferte, wer die meisten versteckten, bunten Eier im Garten fand.

“Mein” Hase bedeutet, „ich denke an Dich“ , wie man das als Mutter gern macht, womöglich als nostalgische Erinnerung an die Zeit, wo die Kinder noch klein waren, als ein Geschenk aus guter Schokolade noch einen Wert für sie hatte.

Da lag er nun, der Osterhase, im Biomüll. Hatte eins der nun schon großen Kinder seinen weggeschmissen? Es fehlten ihm nur die Ohren, der restliche Körper war unversehrt. Waren es die fleissigen Putzhelfer? Jedenfalls berührte es mich, denn es machte mich traurig.

Warum wurde niemand gefragt, ob er den Hasen gern gegessen hätte? Er war doch unversehrt, es waren doch nur die Ohren abgebrochen? Nun lag er da, beschmutzt, wertlos, fertig zum Entsorgen. Doch warum war ich traurig anstatt mich zu ärgern, dass man mein „Geschenk“ achtlos weggeschmissen hatte? Der weggeworfene, teure Schokoladenhase, ist er nicht ein Symbol für das, was tagtäglich geschieht, ein Symbol für unsere Wegwerfgesellschaft? Für Unachtsamkeit , mangelnde Wahrnehmung und der Nichtwürdigung dessen, was wir haben?

Der Hase besteht aus Kakao, der angebaut werden muss, geerntet, geröstet und dann verarbeitet. Wieviel Urwald muss einer Kakaoplantage weichen? Ich weiss es nicht. Dann die Milch, dafür wurde einer Kuh irgendwann ihr Kälbchen weggenommen, dann kommt der Zucker, die Arbeitsstunden, die Logostik hinzu. Der Hase wurde in andere Länder transportiert, es wurde Benzin verbraucht, Abgase entstanden , Verkehrswege wurden bereit gestellt.

Haben wir je wirklich gehungert? Haben wir uns je gefragt, wie viel Material, Mühe und Arbeitsstunden der Bau und die Instandhaltung einer Strasse kostet? Wie viel Land dafür verbraucht wird, wie viele Bäume dafür fallen mussten? Die Meisten von uns müssen sich eingestehen: nein, wir wissen es nicht wirklich. Ich kenne echten Hunger nur aus der Zeit, als wir beim trampen auf der Rückreise aus dem ehemaligen Jugoslawien weniger als 2 DM hatten. Da hatte ich zwei Tage echten, erzwungenen Hunger und habe aus Not ein staubtrockenes Brötchen ohne alles gegessen.

Heute verschwinden die großen Bäume an den Strassenrändern, ja selbst im Wald, es verschwinden die Wiesen, die Hecken und das Land, Beton überall. Durch Gleichgüligkeit?

Es ist kahl geworden in unserer Welt. In der Osterhasen aus Schokolade in den Müll geschmissen werden, weil das Gros keine echte Not kennt, keinen echten Hunger, keine echte Gefahr, nicht täglich ums Überleben kämpfen muss.

Früher hat mein verstorbener Vater immer die Fettränder von Wurst und Schinken gegessen, wir haben uns als Kinder davor geekelt. Heute weiss ich, er hatte gehungert, denn er war Einer, der den Krieg erlebte. Meine Eltern haben nichts wegschmeissen können, weil alles einen Wert für sie hatte. Essen, Kleidung, Heizung, Wohnraum.

1979, das Jahr wo ich einmal im Leben 2 Tage echten Hunger verspürte, gab es noch Ideale, dachten wir, es würde besser, wenn man sich einsetzt, für eine bessere Umwelt, für Gleichheit, Freiheit und Gerechtigkeit. Es waren viele von uns politisch, heute sind das nur noch wenige Jugendliche und auch Erwachsene. Dafür gibt es so was wie die AfD, eher rückwärts gewandt, wenig zeitgemäss, eher Leute von denen, die den Hasen wegschmeissen aber auch den Anderen nichts davon geben wollen. Ist das wirklich politisch? Anscheinend schon, denn es folgen Konsequenzen daraus. Wer macht sich noch Gedanken um die Umwelt? Vllt. noch ein paar Veganer? Doch auch das ist keine Garantie, die Ethik hört schon oft vor der eigenen Haustür auf.

Und der Trump, „ach der aus den USA, das ist doch weit weg, das interessiert mich doch nicht, ob der Präsident wird oder nicht“ – da ist das Smartphone schon wichtiger, um zu schauen, was „läuft“, die nächste Party, Tratsch, das nächste Event, Modetipps oder Spiele.

Doch wir leben nicht losgelöst, wir sind ein Teil unserer Umwelt, die wir so rasant zerstören.

Ein Trump wäre womöglich eine Katastrophe für die ganze Welt, denn er ist ein Ewiggestriger, dem Klimaschutz und globales Denken herzlich egal sind. Der meint, die USA wären sein Wohnzimmer, wo man die Tür zuschliessen könne, weil man unter sich sein will. So wie die Ewiggestrigen auch anderswo an die Macht gekommen sind. Aber was passiert, wenn die Meere umkippen? Was passiert, wenn die Stürme so heftig werden, dass keine Versicherung das bezahlen kann? Was, wenn Krieg über uns herein bricht , weil andere Menschen eine andere Sichtweise haben und so wenig zu verlieren, dass der Glaube an eine bessere Existenz nach dem Tod als Alternative erscheint ? Sollten wir nicht im Hier und Jetzt das achten, was wir jetzt haben, als Geschenk ansehen, dass wir satt sind, keine Not leiden müssen und bewusster leben können? Der Osterhase, er würde dann nicht in den Müll fliegen, sondern man würde ihn in Stückchen brechen und denen anbieten, die sich (noch) darüber freuen. Die sich die teure Schokolade auf der Zunge zergehen lassen.

Erfreuen wir uns an den Osterhasen, morgen schon könnte es keinen mehr geben.

In diesem Sinne

Sabine