Klatschmohn

Die besonderen Momente im Leben müssen nicht unbedingt die großen Ereignisse sein, wie die Geburt eines Kindes, eine große Liebe, die erste eigene Wohnung oder eine wider Erwarten bestandene Prüfung. Oft sind es die kleinen Erlebnisse im Alltag, wo wir einen Augenblick aufmerksam sind und etwas wahrnehmen, was uns sonst entgangen wäre.
So fuhr ich Anfang des Monats an einem schönen Junitag eine Landstraße entlang, die ich sonst meide, da sie normalerweise einen Umweg bedeutet. Ich hatte genug Zeit, um mein Ziel in der nächsten Stadt erreichen und so fuhr ich recht langsam und erblickte am Straßenrand ein Meer aus rotem Klatschmohn, hingetupft zwischen weiß blühender Kamille. Es leuchtete wie ein Meer aus roter Farbe und je weiter ich fuhr, desto intensiver wurde das Rot und bildete mit der weißen Kamille, den blauen Junihimmel und den dahinter wogenden, sattgrünen Getreidefeldern einen atemberaubenden Kontrast. Kann ein Maler schöner malen? Kein Auto war ich Sicht und ich verringerte das Tempo auf langsam, berauschte mich an den Farbenspiel, den leicht zitternden Getreidehalmen auf den Feldern nebenan, über die ein leichter Wind strich. Der Juni ist ein verkannter Monat, dabei steht er in seiner Üppigkeit dem Mai in nichts nach. Wären wir achtsamer, so würden wir uns an die Rosenbüsche, die am Rande der Felder blühen, wahrnehmen, die ersten Sommerblumen, die am Wegrand stehen. Klatschmohn, Kamille, Margeriten, Rosen und Scharfgarben. Ich fuhr Kilometer für Kilometer weiter und konnte mich nicht satt sehen, versuchte, diesen wunderbaren Moment mit allen Sinnen festzuhalten. Dann sah ich am Horizont eine Art Baufahrzeug auftauchen, und als ich näher kam, stellte sich heraus, dass es den Straßenrand abmähte. In diesem Moment gab ich meinen Plan auf, noch einmal den darauf folgenden Tag diese Stecke zu fahren, um das Erlebnis zu wiederholen und da Farbspiel mit der Kamera einzufangen. Womöglich würde ich enttäuscht werden und einen kahlen Rand erblicken, mit den darauf verwelkenden Blumen. Die sterbenden Blüten, das verblassende Rot würden mich traurig stimmen, weil wie so oft achtlos etwas Einmaliges zerstört wird. Vielleicht ist es aber gerade die Vergänglichkeit, die den Augenblick so besonders macht….

In diesem Sinne 

Sabine

Foto: Samira