Der Osterhase – ein Essay von Sabine Birmann vom 30. März 2016

Kurz vor Ostern kaufte ich jedem meiner Kinder einen Osterhasen- von der Firma Lindt. Er war groß und recht teuer, in goldenem Papier eingewickelt. Auch wenn heutzutage die Bedeutung des Osterfestes mehr und mehr in Vergessenheit gerät, so ist es doch kein x-beliebiger Tag, und wenn es schon nicht mehr christlich gefeiert wird, so erinnert man in Form des Ostereiersuchens wenigstens an den heidnischen Ursprung des Festes. So ist auch der Hase ein Fruchtbarkeitsymbol, zeigt, dass der Frühling den in früheren Zeiten recht harten Winter ablöst, dass neues Leben entsteht und altes in Form von Blättern und Blüten wieder erwacht. Vielleicht kauft man deshalb einen Schokoladenhasen, Ostereier oder ein Küken. Es ist zudem die Erinnerung an die eigene Kindheit, wo ich schon am Vortag aufgeregt und sehnsüchtig aus dem Fenster schaute und mit dem Bruder wetteiferte, wer die meisten versteckten, bunten Eier im Garten fand.

“Mein” Hase bedeutet, „ich denke an Dich“ , wie man das als Mutter gern macht, womöglich als nostalgische Erinnerung an die Zeit, wo die Kinder noch klein waren, als ein Geschenk aus guter Schokolade noch einen Wert für sie hatte.

Da lag er nun, der Osterhase, im Biomüll. Hatte eins der nun schon großen Kinder seinen weggeschmissen? Es fehlten ihm nur die Ohren, der restliche Körper war unversehrt. Waren es die fleissigen Putzhelfer? Jedenfalls berührte es mich, denn es machte mich traurig.

Warum wurde niemand gefragt, ob er den Hasen gern gegessen hätte? Er war doch unversehrt, es waren doch nur die Ohren abgebrochen? Nun lag er da, beschmutzt, wertlos, fertig zum Entsorgen. Doch warum war ich traurig anstatt mich zu ärgern, dass man mein „Geschenk“ achtlos weggeschmissen hatte? Der weggeworfene, teure Schokoladenhase, ist er nicht ein Symbol für das, was tagtäglich geschieht, ein Symbol für unsere Wegwerfgesellschaft? Für Unachtsamkeit , mangelnde Wahrnehmung und der Nichtwürdigung dessen, was wir haben?

Der Hase besteht aus Kakao, der angebaut werden muss, geerntet, geröstet und dann verarbeitet. Wieviel Urwald muss einer Kakaoplantage weichen? Ich weiss es nicht. Dann die Milch, dafür wurde einer Kuh irgendwann ihr Kälbchen weggenommen, dann kommt der Zucker, die Arbeitsstunden, die Logostik hinzu. Der Hase wurde in andere Länder transportiert, es wurde Benzin verbraucht, Abgase entstanden , Verkehrswege wurden bereit gestellt.

Haben wir je wirklich gehungert? Haben wir uns je gefragt, wie viel Material, Mühe und Arbeitsstunden der Bau und die Instandhaltung einer Strasse kostet? Wie viel Land dafür verbraucht wird, wie viele Bäume dafür fallen mussten? Die Meisten von uns müssen sich eingestehen: nein, wir wissen es nicht wirklich. Ich kenne echten Hunger nur aus der Zeit, als wir beim trampen auf der Rückreise aus dem ehemaligen Jugoslawien weniger als 2 DM hatten. Da hatte ich zwei Tage echten, erzwungenen Hunger und habe aus Not ein staubtrockenes Brötchen ohne alles gegessen.

Heute verschwinden die großen Bäume an den Strassenrändern, ja selbst im Wald, es verschwinden die Wiesen, die Hecken und das Land, Beton überall. Durch Gleichgüligkeit?

Es ist kahl geworden in unserer Welt. In der Osterhasen aus Schokolade in den Müll geschmissen werden, weil das Gros keine echte Not kennt, keinen echten Hunger, keine echte Gefahr, nicht täglich ums Überleben kämpfen muss.

Früher hat mein verstorbener Vater immer die Fettränder von Wurst und Schinken gegessen, wir haben uns als Kinder davor geekelt. Heute weiss ich, er hatte gehungert, denn er war Einer, der den Krieg erlebte. Meine Eltern haben nichts wegschmeissen können, weil alles einen Wert für sie hatte. Essen, Kleidung, Heizung, Wohnraum.

1979, das Jahr wo ich einmal im Leben 2 Tage echten Hunger verspürte, gab es noch Ideale, dachten wir, es würde besser, wenn man sich einsetzt, für eine bessere Umwelt, für Gleichheit, Freiheit und Gerechtigkeit. Es waren viele von uns politisch, heute sind das nur noch wenige Jugendliche und auch Erwachsene. Dafür gibt es so was wie die AfD, eher rückwärts gewandt, wenig zeitgemäss, eher Leute von denen, die den Hasen wegschmeissen aber auch den Anderen nichts davon geben wollen. Ist das wirklich politisch? Anscheinend schon, denn es folgen Konsequenzen daraus. Wer macht sich noch Gedanken um die Umwelt? Vllt. noch ein paar Veganer? Doch auch das ist keine Garantie, die Ethik hört schon oft vor der eigenen Haustür auf.

Und der Trump, „ach der aus den USA, das ist doch weit weg, das interessiert mich doch nicht, ob der Präsident wird oder nicht“ – da ist das Smartphone schon wichtiger, um zu schauen, was „läuft“, die nächste Party, Tratsch, das nächste Event, Modetipps oder Spiele.

Doch wir leben nicht losgelöst, wir sind ein Teil unserer Umwelt, die wir so rasant zerstören.

Ein Trump wäre womöglich eine Katastrophe für die ganze Welt, denn er ist ein Ewiggestriger, dem Klimaschutz und globales Denken herzlich egal sind. Der meint, die USA wären sein Wohnzimmer, wo man die Tür zuschliessen könne, weil man unter sich sein will. So wie die Ewiggestrigen auch anderswo an die Macht gekommen sind. Aber was passiert, wenn die Meere umkippen? Was passiert, wenn die Stürme so heftig werden, dass keine Versicherung das bezahlen kann? Was, wenn Krieg über uns herein bricht , weil andere Menschen eine andere Sichtweise haben und so wenig zu verlieren, dass der Glaube an eine bessere Existenz nach dem Tod als Alternative erscheint ? Sollten wir nicht im Hier und Jetzt das achten, was wir jetzt haben, als Geschenk ansehen, dass wir satt sind, keine Not leiden müssen und bewusster leben können? Der Osterhase, er würde dann nicht in den Müll fliegen, sondern man würde ihn in Stückchen brechen und denen anbieten, die sich (noch) darüber freuen. Die sich die teure Schokolade auf der Zunge zergehen lassen.

Erfreuen wir uns an den Osterhasen, morgen schon könnte es keinen mehr geben.

In diesem Sinne

Sabine